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Schieben, statt geschoben werden

«Leben wir heute nicht noch eher von der Hand in den Mund?!»
Adolf Real
Adolf E. Real, Präsident des Liechtensteinischen Bankenverbands. (Bild: Illustration Tatjana Stojnic)

In fünf Tagen ist Landtagseröffnung. Bewährte und neue Abgeordnete werden in der neuen Legislaturperiode ebenso wie eine teilerneuerte Regierung die Weichen für die Zukunft unseres Landes stellen. Eine gute und wichtige Gelegenheit, auch den Finanzplatz und dessen Entwicklung zu reflektieren und die künftigen Massnahmen klug zu setzen. Am jüngsten Finance Forum Liechtenstein in Vaduz waren immerhin 75 Prozent der Anwesenden der Meinung, die Stimmung am Finanzplatz ist gut, gar 15 Prozent beurteilten sie als sehr gut. Nur zehn Prozent waren dezidiert anderer Meinung und bewerteten die Stimmung am Finanzplatz als schlecht und miserabel. Nun ist gute Stimmung zwar ein wertvoller Indikator und auch Motivator, doch genügt dies allein nicht. 

Liechtenstein steht heute in der Tat hervorragend da: Der Staatshaushalt ist saniert, das AAA-Länderrating für Liechtenstein wurde inzwischen im siebten Jahr in Folge bestätigt und mit der Einführung des Automatischen Informationsaustausch ist die Transformation weitgehend abgeschlossen. Die Stiftung Zukunft.li stellt trotz dieser positiven Signale eine nachlassende Dynamik beim BIP-Wachstum, eine sinkende Produktivität und einen drastischen Rückgang des Bruttonationaleinkommens fest. Auch die Finanzwirtschaft sieht neue grosse Herausforderungen auf sich zukommen. Als grösste betrachten zwar nach wie vor zwei Drittel der Teilnehmenden die «Bewältigung der Regulierung». Doch ein vorausschauendes Viertel sieht bereits die «Digitalisierung» als grösste Aufgabe der Zukunft. Mehr als die Hälfte ist sicher, dass insbesondere im Backoffice die Maschine bald den Menschen ablösen wird. 

Während ein geringer Teil auf diese Entwicklungen mit «abwarten» reagiert, will die Mehrheit aktiv werden oder bleiben, eigene Dienstleistungen und Innovationen entwickeln, innovative Technologien einkaufen und mit Spezialisten vermehrt zusammenarbeiten. Und wie reagiert die Politik? Hat sie bereits einen Plan, eine Strategie für den Finanzplatz, für unsere Wirtschaft, für unser Land, so wie sich jedes Unternehmen einer klaren Strategie verschreibt? Was besagt eine ehrliche Analyse unserer Stärken und Schwächen und wohin genau soll die Reise gehen?

Als Bürger unsers Landes erwarte ich von der Politik, dass sie sich langfristig, das heisst über die Mandatsperiode hinaus, Gedanken zu diesen Fragen macht. Leben wir heute nicht noch eher von der Hand in den Mund?! Eine Strategie für unser Land, die sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft betrifft, darf nicht alleine der Wirtschaft überlassen werden. Sorge tragen zu den Rahmenbedingungen heisst auch, sich mit den Zukunftsthemen wie zum Beispiel Demographie und Digitalisierung auf politischer Ebene intensiv auseinanderzusetzen. Einen Diskurs gemeinsam mit der Wirtschaft zu führen, in dem das vorhandene Know-how beider Seiten auch wirklich genutzt wird. Das heisst, sich intensiv mit den Implikationen und den damit verbundenen Möglichkeiten für unser Land beschäftigen. 

Die Digitalisierung wird die Finanzindustrie und damit auch den Finanzplatz Liechtenstein im Sinne eines Paradigmenwechsels mehr verändern, als die Einführung des Automatischen Informationsaustausches. Wir haben die Chance, unsere Zukunft aktiv zu beeinflussen. Aber nur warten, bis die Zukunft das Jetzt ist, wäre die falsche Handlungsweise. Mephistopheles in Goethes Faust sagt: «Der ganze Strudel strebt nach oben. Du glaubst zu schieben und Du wirst geschoben.» Das ist ein ausgezeichnetes Bild für die heutige Situation. Wir tun viel, auch die Regierung hat im vergangenen Jahr immer wieder Massnahmen gesetzt, aber haben wir damit wirklich «geschoben» – sprich, ein grosses Ganzes vor Augen und sind wir ganz gezielt strategisch vorgegangen? Werden wir nicht vielmehr nach wie vor geschoben von den Märkten, von unseren geschickten Wettbewerbern auf der Welt, von unseren anspruchsvollen Kunden und von topausgebildeten Mitarbeitenden, die sich entwickeln wollen? Es wird Zeit, dass wir die Zügel in die Hand nehmen und ziehen beziehungsweise eben schieben. Nur so können wir selbst die Richtung vorgeben, in die wir gehen wollen.

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