«Henry ist immer für eine Überraschung gut»
Von Desirée Vogt
Neun Vorstellungn der Dokumentation von «Heinrich Kieber – Datendieb» im TaKino sind bereits ausverkauft – «das Interesse ist unglaublich», begrüsste Markus Wille, Geschäftsführer des Filmclub TaKino die Besucherinnen und Besucher der Vorpremiere. Mindestens so interessant wie der Film selbst war dann auch das Publikum, das sich aus Vertretern der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft sowie Personen zusammensetzte, die in der Dokumentation eine Hauptrolle spielen.
Wer die 52-minütige Dokumentation von Sigvard Wohlwend und Sebastian Frommelt gesehen hat, verlässt den Kinosaal anschliessend im Glauben, Heinrich Kieber zu kennen und durchschaut zu haben. Vollbepackt mit Daten und Material – und das war noch lange nicht alles, was die Filmemacher gesammelt haben – versucht der Zuschauer im Anschluss zu verarbeiten, was er da gerade auf der Leinwand gesehen hat. Hat dieser Heinrich Kieber, der sich selbst am liebsten «Henry» nannte und gerne als Pausenclown auftrat, das alles wirklich nur getan, um sich seinen Traum zum erfüllen? Und hatte er tatsächlich verschiedene Gesichter? Diese Fragen müssen wohl mit Ja beantwortet werden. Denn das zeigt der Film klar auf. Aber von vorne …
Reicher Liechtensteiner in Spanien
Heinrich Kieber wächst mit seinen zwei Schwestern im Kinderheim Gamander in Schaan auf, nachdem seine Eltern sich getrennt haben. Seine Mutter stammt aus Spanien, sein Vater aus Liechtenstein. Heinrich leidet unter dem Leben im Heim, zum Vater hat er kein gutes Verhältnis. Nur eine kümmert sich um die vernachlässigten Heimkinder –die allseits geliebte Fürstin Gina. Zu dieser hat Heinrich ein sehr gutes Verhältnis, wie ein Onkel erzählt. Ein Onkel, der selbst guten Humor zu besitzen scheint und mal erstaunt, mal lachend oder auch mal verwundert aus dem Nähkästchen plaudert. Als Heinrich 16 Jahre alt ist, knattert er lieber mit seinem Mofa in Richtung Süden, als eine Ausbildung zu absolvieren. In Barcelona sucht er schliesslich Kontakt zur Familie seiner Mutter. Seine Tante nimmt ihn auf. In der Schweizerschule, die er dort besucht, gibt er sich als Sohn eines steinreichen Liechtensteiners aus – das Leben des Heinrich Kieber mit seinen zwei Gesichtern beginnt. Nach einem Jahr wird er schliesslich wieder nach Liechtenstein zurückgeschickt. Auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf ruft er Fürstin Gina an, die ihn persönlich vom Bahnhof abholt und dafür sorgt, dass er wieder im Kinderheim Gamander unterkommt. Mit 18 Jahren zieht Henry in eine eigene Wohnung und lässt sich doch noch ausbilden – zum Kaufmann.
Nissan sichert «Einkommen»
Ständig vom Fernweh geplagt findet Kieber später einen ob bei der Swissair und kann für wenig Geld kreuz und quer durch die Welt reisen. «Ja, er ist durch sein Mundwerk aufgefallen. Er sprach wie ein Wasserfaall», sagt Larissa Kaufmann, die in Zürich mit «Heini», zusammengearbeitet hat. Larissa mochte Kieber, vor allem seinen Humor. Aber, sagt sie, ihre Freunde konnten nichts mit dem komischen Kauz anfangen, der ihres Erachtens viel zu schnell und hektisch sprach.
Im Jahr 1992 reist Heinrich Kieber schliesslich ins Land seiner Träume – Australien und mietete sich in Sydney eine Wohnung. Er absolviert teure Flugstunden – und ist eines Tages plötzlich verschwunden. «Hinterliess Schulden von 700 Dollar. Und hat die Rechnung selbst als bezahlt quittiert», erzählt die damalige Vermieterin Margaret Thompson empört.
Nächste Station: Neuseeland. Hier hinterlässt Kieber vor allem bei seiner Fluglehrerin einen bleibenden Eindruck. Sie bezeichnet ihn als «manipulativ und arrogant». Weil die Flugstunden auch in Neuseeland teuer sind, meldet er seinen Nissan als gestohlen und kassiert das Versicherungsgeld. Derselbe Nissan muss auch in Australien herhalten, als Kieber Geld benötigt – er zündet das Auto an und kassiert wiederum die Versicherungssumme. In Spanien spielt er dann kurzfristig wieder die Rolle des wohlhabenden Liechtensteiners, prellt einen Freund um eine Wohnung und setzt sich erstmal mit dem ganzen Geld nach Liechtenstein ab. Auf seinem Konto bei der LGT liegen teilweise bis zu 710’000 Franken – was das Sozialamt aber nicht weiss. Kieber bezieht Sozialhilfe.
Aus einem Urlaub in Argentinien kehrt er sichtlich traumatisiert zurück – seine Pulsadern sind aufgeschnitten und er erzählt wilde Geschichten. Er sei gekidnappt worden. Er zeigt seine «Peiniger» in Liechtenstein schliesslich an – und hält von da an die Justiz auf Trab. Seine «Entführung» hat er grafisch bis ins kleinste Detail nachstellen lassen – doch der Staatsanwaltschaft reichen die Beweise nicht.
Von der Justiz missverstanden
1999 erhält er schliesslich einen Job bei der LGT Treuhand AG, wo er Kundendaten digitalisieren soll. Sein Arbeitgeber ist zufrieden mit ihm und überträgt ihm die Verwaltung und Pflege der Datenbank: Jetzt hat Henry ungeschränkten Zugang zu allen Kundeninfos. Fragt man ihn, was er so macht, sagt er: «Ein bisschen im Archiv stöbern». «Wir wussten ja nicht, dass er Zugang zu sensiblen Daten hatte», sagt ein alter Freund aus. Irgendwann fühlt sich Kieber in die Ecke gedrängt, wird dazu verdonnert, eine halbe Million Franken an seinen von ihm geprellten Freund zu bezahlen. Er fühlt sich von der Justiz missverstanden. Quasi als «Sicherheit»» kopiert er schliesslich die Kundendaten der LGT Treuhand.
Kieber weiss: Den Aufenthalt in Australien würde er nur mit einer weissen Weste erhalten. Also wendet er sich an den Fürsten, der die Richter ernennt, und bittet diesen um juristische Unterstützung. Auch droht er mit der Herausgabe der Kundendaten. Wie Fürst Hans-Adam II. gegenüber Radio Liechtenstein ausführte, sei es schlieslich darum gegangen, die Kundendaten zu sichern und Heinrich Kiebers Weg nach Australien freizumachen. «Wir dachten, damit sei das Ganze erledigt.» Doch hätten Fürst und Regierung lieber auf das Bauchgefühl von Staatsanwalt Robert Wallner gehört: «Ich war mir ziemlich sicher, dass wir wieder von Heinrich Kieber hören würden.» So war es dann auch.
Bewilligung gegen Daten
Kiebers Wunsch nach einer Aufenthaltsbewilligung in Australien ist so gross, dass er den Behörden, die ihn immer noch wegen des Versicherungsbetrugs suchen, einen Deal anbietet: Bewilligung gegen Daten. Weil er schliesslich eine neue Identität braucht, wendet er sich auch an den deutschen Bundesnachrichtendienst: Pass gegen Daten. Der Rest ist bekannt. Und Kieber heute ein «reicher» Mann. Er lebt inzwischen in einem Zeugenschutzprogramm. Gesehen und erkannt wurde er zuletzt am Flughafen in Manila. Im Januar 2010 hat er in Washington Post aufgegeben. Doch er vermisst seine Freunde aus dem früheren Leben, wie Weihnachtskarten belegen. «Ich denke oft an die guten Zeiten zurück. Man sieht sich mal wieder. Henry Kieber.»
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S.D. Fürst Hans Adam II.