Muss das EWR-Abkommen reformiert werden?
politisches System sollte einfach verständlich sein, möglichst alle politischen Akteure in die Entscheidungsfindung einbinden und zugleich die Handlungsfähigkeit seiner Institutionen sichern. Kurzum: Es muss einfach, inklusiv und effizient sein. Dies gilt auch für den EWR. Tatsächlich ist der EWR aber ein hoch komplexes System mit einer Vielzahl von Institutionen und Regeln. Diese Komplexität ist die logische Konsequenz aus den unterschiedlichen Interessen und Prinzipien der EU und ihrer Mitgliedstaaten einerseits sowie der EWR/EFTA-Staaten andererseits. Ungeachtet dessen ist es bisher stets gelungen, neues EWR-relevantes EU-Recht in das EWR-Abkommen zu übernehmen.
Das gute Funktionieren des EWR lässt sich unter anderem durch den Mangel an konkreten Alternativen für die EWR/EFTA-Staaten, das lange Zeit fehlende Interesse der EU am EWR sowie eine kreative Auslegung des EWR-Abkommens erklären. Aufgrund der stark verzögerten Übernahme von EU-Recht in den EWR wurde das im EWR-Abkommen verankerte Ziel eines homogenen und dynamischen Wirtschaftsraums jüngst jedoch wiederholt verletzt. Die Frage nach der Zukunft des EWR ist also durchaus berechtigt.
Die Geschichte der europäischen Integration kennt zahlreiche Modelle für mehr Flexibilität, wie beispielsweise die Idee eines Europas der variablen Geometrie. Solche Modelle könnten den EWR überflüssig machen, indem sie einen neuen institutionellen Rahmen vorgeben. In der Debatte über diese Modelle wird aber oft vergessen, dass die heutige EU bereits ein hohes Mass an Differenzierung kennt. Eine weitergehende Differenzierung würde stark zentrifugal wirken und so die Funktionsweise der EU gefährden. Ähnliches gilt für eine Revidierung der EU-Grundprinzipien, wonach Nicht-Mitglieder kein Stimmrecht im EU-Entscheidungsprozess haben oder die finale Auslegung von EU-Recht stets durch EU-Institutionen erfolgen muss. Mittelfristig ist deshalb keine grundlegende Neukonzeption der EU zu erwarten. Die institutionelle Dynamik der EU wird aber weiter bestehen und den EWR vor neue Herausforderungen stellen. Um für diese Herausforderungen besser gerüstet zu sein, wurde in der grössten norwegischen Tageszeitung kürzlich eine Änderung der norwegischen Verfassung gefordert. Konkret solle es Norwegen möglich sein, die Kompetenz für die Schaffung, Überwachung und Auslegung von EWR-Recht an EU-Institutionen zu delegieren, ohne in diesen Institutionen vollumfänglich repräsentiert zu sein. Dies würde bedeuten, dass die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR, wonach Funktionen der EU-Organe für die EWR/EFTA-Staaten durch die EFTA-Institutionen ausgeübt werden, partiell durch ein Ein-Pfeiler-Modell mit ausschliesslicher Kompetenz der EU-Institutionen ersetzt wird.
In der Tat wäre ein solches Modell einfacher und effizienter als das gegenwärtige Zwei-Pfeiler-Modell. Allerdings muss ein solcher Systemwechsel auf einzelne Fragestellungen beschränkt sein und darf die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR nicht gänzlich in Frage stellen. Denn die Zwei-Pfeiler-Struktur und die damit verbundene Inklusion der EWR/EFTA-Staaten haben sich bewährt und tragen wesentlich zur Legitimität des EWR bei. Im Unterschied zur norwegischen Verfassung gilt die liechtensteinische Verfassung als völkerrechtsfreundlich und gibt dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum, Entscheidungskompetenzen an andere Institutionen abzutreten. Liechtenstein kann die norwegische Diskussion also relativ gelassen verfolgen – auch weil diese wohl noch lange andauern wird. Eine grundlegende Reform des EWR ist derzeit ohnehin nicht im Interesse Liechtensteins. Es ist fraglich, ob neue Institutionen tatsächlich mehr Effizienz oder den EWR/EFTA-Staaten mehr Mitbestimmung im EU-Entscheidungsprozess bringen würden. Vielmehr sollte Liechtenstein seine Energie auf konkrete Reformen der EFTA-internen Prozesse ausrichten sowie generell sicherstellen, dass sowohl auf nationaler Ebene als auch bei den EFTA-Institutionen genügend personelle Ressourcen für eine aktive Europapolitik vorhanden sind. Denn ein einfaches, effizientes und inklusives System, welches Nicht-Mitgliedstaaten dauerhaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt sichert, bleibt wohl für immer eine Illusion.
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