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Weil jeder Mensch zählt

«Wie steht es um das barrierefreie Lernen?»
Barbara Gant, Prorektorin und Rektorin a. i. UFL

Liechtensteins Athleten haben bei den Special Olympics Grossartiges geleistet und einmal mehr gezeigt, wozu Menschen fähig sind. Menschen mit Einschränkungen, Menschen mit geistiger Behinderung. Ihr Erfolg ist ihrem Mut, ihrem unermüdlichen Kampfgeist, aber auch ihrem Team zu verdanken. Denn sie sind umgeben von Menschen, die sie in ihrem Einsatz voll unterstützen – und das notabene ehrenamtlich. Kein Zweifel, ohne dies wäre der grossartige Erfolg gar nicht erst möglich.Und wie steht es mit den Erfolgen von Menschen mit Behinderung in Wirtschaft und Politik? Wird ihr Potenzial ausreichend erkannt und gefördert? Oder kommen sie allein aufgrund von sozialer Unterstützung und Quoten einen Schritt weiter in ihrem beruflichen Leben? Für Menschen ohne Einschränkungen ist es selbstverständlich, eine gute Ausbildung zu absolvieren, Top-Jobs zu erhalten und sich permanent weiterzubilden. Ohne Einschränkung zu sein, wird dabei als «normal» wahrgenommen. Aber haben sie immer auch das gleich grosse Potenzial wie Menschen mit Behinderungen? 
Im Bildungssektor zeigt sich die Diskrepanz zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen besonders deutlich. Zwar gibt es inzwischen fast überall barrierefreie Wege, grosse Universitäten führen gar die Brailleschrift (Blindenschrift) auf ihren Hinweisschildern. Doch wie steht es tatsächlich um das barrierefreie Lernen und Studieren? 

Wird das Potenzial der vielfach hochintelligenten und motivierten Menschen überhaupt erkannt und genutzt? Eine Studentin an der UFL hat im Jahr 2016 erfolgreich ihr Doktoratsstudium abgeschlossen. Sie ist ein Mensch mit Hörbehinderung. Wie war es für sie möglich, ein so anspruchsvolles Studium zu absolvieren? Zunächst einmal: Sie ist eine Kämpferin. Das sagt sie auch von sich selbst. Ihr ganzes Leben hat sie gekämpft, um die gleichen Chancen auf Bildung zu erhalten wie andere, wie Menschen ohne Behinderung; gekämpft um eine barrierefreie Gesellschaft. Die Wissenschaftlerin hat ihre Forschungsarbeit denn auch diesem Thema gewidmet. Allein in der Schweiz gibt es bis zu 1 Million Menschen mit Hörbehinderung, es gibt weder Fachhochschulen noch Universitäten, die sich auf dieses Potenzial ausrichten. Dabei ist in ihrem Fall ihre Hörbehinderung für die Arbeit in einer Forschungsgruppe oder den medizinischen Wissenschaften keine Einschränkung. Im Gegenteil: Ihre Intelligenz und Schaffenskraft ist ein Gewinn für die Forschungsgruppe, in der sie tätig ist. 

Ganz so einfach war das Studium zweifelsfrei nicht. Sie brauchte eine Gebärdensprachen-Übersetzung, musste sich bereits zwei Jahre vor Beginn des Studiums um die Finanzierung kümmern, ihre Termine notabene auch als Mutter und Berufstätige äusserst diszipliniert organisieren. Nicht zuletzt musste sie selbst die Dolmetscher briefen – nicht jeder versteht die Sprache der Wissenschaft. Es war für sie eine grosse Belastung und viel Administrationsaufwand. Das Doktoratsstudium konnte sie, so sagt sie, als gleichwertige Mitstudierende erleben und wie alle anderen barrierefrei absolvieren. Auch für unsere Universität entstand beispielsweise durch die nötige intensivere Betreuung durch unsere Dozenten etwas Mehraufwand. Aber was würde dies mehr rechtfertigen als eine erfolgreiche Promotion und das daraus resultierende Potenzial für die Wirtschaft? 

Für Politik und Wirtschaft, aber auch und insbesondere Bildungsstätten, sollte Barrierefreiheit als Selbstverständnis gelten – und das nicht nur auf Hinweisschildern, WCs oder zugänglichen Wegen, sondern in allen Lebensbereichen, in denen sich auch jeder Mensch «normal» bewegen und entwickeln darf. Die Erfolge, die Unternehmen dank dieser oft ungenutzten Talente feiern dürfen, fühlen sich dann mindestens so gut an wie die vielen Medaillen der Kämpferinnen und Kämpfer Liechtensteins an den Special Olympics. Weil jeder Mensch zählt.

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